How it works

Aufbruch ins eigene Leben

Ein großer Einschnitt im Leben ist der Auszug aus dem Elternhaus. Dabei stellt sich schnell die Frage: Wie finde ich heraus, wer ich bin, ganz ohne den Einfluss meiner Familie? Wir haben mit einer Expertin gesprochen.
 
Kisten packen, Poster abhängen und die ersten eigenen Küchenutensilien einkaufen. Tschüss Jugend, hallo Erwachsenenwelt!? Von zu Hause auszuziehen, ist aufregend und kann auch ein bisschen Angst machen. Wir brechen auf in unser eigenes Leben. Keine Ahnung, was uns erwartet. Nicht nur für Kinder ist diese Situation neu, auch für Eltern beginnt ein neuer Lebensabschnitt – die Beziehung zu ihnen wird sich auf jeden Fall verändern. Unsere Eltern sind wichtige Schlüsselfiguren in unserem Leben, doch nicht immer läufts mit ihnen reibungslos. Sie sollen Teil unseres Lebens sein, und gleichzeitig wollen wir unseren eigenen Weg finden. Das Loslassen auf der elterlichen Seite und das Losgehen auf unserer Seite bringen Hürden mit sich. Dieser Prozess könne sich ein Leben lang hinziehen, sagt Diplom-Psychologin Sandra Konrad – aber er kann auch vereinfacht werden.


 
Freiheit, juhu! Doch wie geht die überhaupt?
 
Konrad arbeitet seit über 20 Jahren als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin. In ihrem 2023 erschienenen Buch „Nicht ohne meine Eltern“ hat sie sich damit beschäftigt, wie unsere Eltern uns prägen: „Bereits bei der Geburt beginnt der Abnabelungsprozess mit dem Durchtrennen der Nabelschnur. Mit jedem weiteren Lebensjahr erschließt sich das Kind dann mehr und mehr autonome Räume. Ein großer Meilenstein: der Auszug aus dem Elternhaus.“

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Mit dem Ende der Schulzeit steht uns die Welt offen. Doch das kann zu Beginn auch überfordern, haben uns die Eltern und das Familienleben oft über viele Jahre einen Rhythmus vorgegeben. Jetzt dürfen wir selbst entscheiden: Wo will ich wohnen, was studieren, und, noch schwieriger: Wer will ich sein? Fragen, die wir uns selbst beantworten wollen, aber nicht immer gleich können. Wir müssen uns erst selbst kennenlernen, um herauszufinden, welchen Platz wir im Leben einnehmen wollen. Freund:innen können dabei helfen, neue Facetten von uns kennenzulernen. Wer für das Studium in eine andere Stadt zieht, braucht Anschluss. Wichtig ist es, Routinen für sich selbst und das neue Leben zu schaffen – abseits von den eingespielten Routinen mit den Eltern.
Ein Sprachkurs, ein Buchclub oder eine neue Sportart helfen dabei, Menschen zu begegnen und so auch sich selbst besser kennenzulernen. Gerade die körperliche Bewegung fördert das Selbstbewusstsein und stärkt die mentale Gesundheit. Durch regelmäßiges Trainieren werden wir resilienter. Wer sich noch keine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio leisten kann, informiert sich am besten bei seiner Krankenkasse über Sporteinheiten. Die Techniker bietet ein breit gefächertes Angebot an Gesundheitskursen. Über den TK-Coach gibt es zusätzlich noch Entspannungstipps und Vorschläge für gesunde Gerichte. So lässt es sich doch gut in das eigene Leben starten, oder?
 

Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung zeichnet sich immer dadurch aus, dass sich emotional reife Menschen begegnen.
Diplom-Psychologin Sandra Konrad

 

 
Für den Anfang gibt Sandra Konrad einen Tipp: Wer gerade erst bei den Eltern ausgezogen ist, sollte nicht zu streng mit sich sein. Denn eine gewisse Abhängigkeit oder eine stärkere Verbundenheit zu den Eltern ist in diesem Alter normal. Auch ein elterlicher Rat kann Orientierung geben.
 
Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle, so Konrad: „Mit Anfang 20 sind junge Menschen oft noch nicht finanziell unabhängig. Wie sollen sie sich also komplett von ihren Eltern ablösen?“ Entscheidender sei eine Beziehung auf Augenhöhe: „Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung zeichnet sich immer dadurch aus, dass sich emotional reife Menschen begegnen“, so die Expertin. Sie beschreibt diese emotionale Reife gerne als Selbstdifferenzierung. Gut erkennbar sei diese, wenn wir anderen nah sein können, ohne uns selbst zu verlieren. Oder auch andere Meinungen oder sogar Kritik aushalten können, ohne dass wir uns angegriffen oder gekränkt fühlen. „Alle Parteien sind bindungs-und konfliktfähig, und Veränderungen werden nicht als bedrohlich empfunden“, so Konrad. Veränderung gehört in dieser Lebensphase dazu, aber genau die macht es uns oft schwer. Denn wir lieben Gewohnheiten. Doch wenn Eltern und Kinder den Wandel annehmen, sinkt auch die emotionale Abhängigkeit.

 
Es gibt jedoch Beziehungen, die nicht auf Augenhöhe stattfinden und Eltern zu oft die Entscheidungen der Kinder kritisieren. Dann kann es sein, dass das das Kind unter der Kritik leidet, und der Abnabelungsprozess ist gestört. Eltern stellen in diesem Falle zu hohe Loyalitätsforderungen. Sie wollen nicht, dass das Kind den Schoß der Familie verlässt und nach den eigenen Vorstellungen lebt – sie haben zu hohe Ansprüche an den Nachwuchs.  
 
Schuldgefühle, Abhängigkeit und falsche Erwartungen
 
Wenn Eltern zu viel Kritik üben, hat das Konsequenzen. Kinder unterwerfen sich oder sind stark gekränkt. Das wiederum schwächt ihr Selbstwertgefühl und baut in den schlimmsten Fällen einen Groll gegen die Eltern auf. Auch Schuldgefühle sind ein großes Thema, mit dem viele sogar bis ins hohe Alter kämpfen. „Durch bindende Aufträge der Eltern wie ,Bleib bei mir!‘ oder ,Verlass mich nicht!‘ bauen sich oft starke Schuldgefühle auf. Kinder haben ein schlechtes Gewissen, ihr eigenes Leben zu leben.“
 
Zeit, die Perspektive zu wechseln
 
Was hilft bei Konflikten? Wie gelingt eine gute Beziehung? „Ein etwas milderer Blick auf die Eltern kann viel bewirken. Sie anzuerkennen als Menschen, die auch mal Kinder waren, die vielleicht Mangelerfahrungen erlebt oder sich bemüht haben, gute Eltern zu sein“, empfiehlt Konrad. Es könne helfen, sich die Biografie der Eltern anzugucken und sich dann die Frage zu stellen: Wieso sind sie so, wie sie sind? Das kann für Verständnis sorgen, schafft gleichzeitig eine neue Verbindung und hilft, den eigenen Weg zu finden.

 

 

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