Gesundheit gerechter machen – aber wie?
Was ist eigentlich Gerechtigkeit? Kindern bringt man das Konzept manchmal so näher: „Stell dir vor, du hast einen Kuchen und musst ihn mit deinen Freund*innen teilen. Schneide ihn dann so, dass du nicht weißt, welches Stück du bekommst.“ Das Ergebnis? Gleich große Stücke. Dieses Verfahren ist eigentlich ebenso simpel wie einleuchtend. Nur leider kommt man damit nicht immer weiter. Das zeigt sich auch beim Gesundheitssystem. Wenn es gerecht zugehen soll, würden wir alle den gleichen Prozentsatz unseres Gehalts für eine Krankenkasse abgeben, oder? Aber was, wenn ich gar kein Geld verdiene? Was, wenn ich andere Leistungen in Anspruch nehmen möchte? Und vor allem: Was, wenn ich mehr Leistungen brauche? Und da kommt die Solidarität ins Spiel. Denn auch das ist gerecht: Diejenigen, die gerade darauf angewiesen sind, weil sie zum Beispiel krank sind, bekommen mehr, die anderen weniger.
Gerechte Gesundheit? Der Status quo
In Deutschland herrscht eine Versicherungspflicht. Alle Bürger*innen sollen sich in einer gesetzlichen Krankenkasse versichern. Die Beiträge aus den gesetzlichen Kassen sowie Steuereinnahmen und Anteile der Arbeitgeber*innen finanzieren dann die Gesundheitsversorgung. Das System ist solidarisch, weil alle gesetzlich Versicherten ein gemeinsames Risiko tragen. Wir haben – wie im Kuchenbeispiel – alle den gleichen Anspruch auf Versorgung, egal, wie viel wir verdienen. Wie viel wir bezahlen, richtet sich nach unserem Einkommen. So unterstützen die wohlhabenderen die nicht so reichen Bürger*innen, gesunde stehen für nicht so gesunde Menschen ein. Aber es ist komplexer: Denn es gibt ebenjene Menschen, die nicht in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sein müssen und sich stattdessen privat versichern können. Also: Wer überdurchschnittlich gut verdient, kann sich privat versichern. Ist das gerecht?
Eine für alle: Brauchen wir eine Bürgerversicherung?
Nein, würden Kritiker*innen des zweigleisigen Systems sagen, denn wer sich privat versichert, hört auf, Beiträge zu zahlen, die für das Solidaritätsprinzip wichtig wären. Außerdem stecken wir mitten in einem demografischen Wandel. Kurz: Wir werden immer älter, es wird immer weniger Nachwuchs geboren. Die weniger werdenden Jungen zahlen also für die zahlreicher werdenden Alten. Um das aufzufangen, müssen die Beiträge erhöht werden. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Gesundheitsausgaben mehr als verdoppelt, zugleich wird die Versorgung schlechter. Krankenhäuser sind überlastet, Medikamente und Pflegepersonal fehlt. Kassenpatient*innen werden benachteiligt, da ihre Mehrfachbehandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin wirtschaftlich uninteressant ist, heißt es. Das Abrechnungssystem gebe das nicht her.
Gegner*innen privater Krankenkassen halten diese für unsolidarisch. Befürworter*innen sagen, dass die Privaten die gute Behandlung der Gesetzlichen erst garantieren.
Was also tun? Einige sagen: das Gesundheitssystem vereinheitlichen. Eine Bürgerversicherung schaffen, in die alle Bürger*innen eintreten müssen. Sich privat zu versichern geht dann nur noch für Zusatzleistungen. Dafür sprechen sich beispielsweise SPD, Grüne und Die Linke aus. Die genaue Ausgestaltung variiert, aber grundsätzlich finden Befürworter*innen, dass damit ein erster Schritt gegen die sogenannte Zweiklassenmedizin getan wäre. Privatversicherte würden nicht mehr besser versorgt als die gesetzlich Versicherten, da die derzeit bestehenden unterschiedlichen Vergütungsmodelle diese Unterschiede zementieren. Ärzte und Ärztinnen würden an der besseren Versorgung der Privatpatient*innen nicht mehr verdienen. Denn: Wer weniger Privatversicherte behandelt, verdient weniger. Das ist vor allem im ländlichen, strukturschwachen Raum der Fall. In Großstädten gibt es mehr Privatversicherte, also – flapsig formuliert – auch mehr Geld zu holen. Außerdem ließe sich durch eine einheitliche Versicherung der Solidaritätsgedanke wieder stärken. Niemand könnte sich mehr dem Solidarprinzip entziehen.
Zweigleisig fahren: Sind Kassen auf Private angewiesen?
Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass die Beiträge der Privatversicherten die gute Behandlung der gesetzlich Versicherten überhaupt erst garantierten. So lag der Mehrumsatz durch die Privaten im Jahr 2021 bei rund 39 Milliarden Euro. Dieser Mehrumsatz würde den Gesetzlichen schließlich zugutekommen, eine Bürgerversicherung würde das Versorgungsmodell schädigen. Die Privaten sorgten also dafür, dass sich Ärztinnen und Ärzte teure und moderne Geräte anschaffen könnten. Die würden sich dann nicht nur für alle positiv auswirken, auch die Innovationskraft würde dadurch gestärkt. Uwe Kraffel, der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Facharztverbands, befürchtet, dass eine Abschaffung der Privatversicherungen auch zu einer Unterfinanzierung der Leistungserbringenden führen würde: „Die Krankenhäuser finanzieren sich erheblich über die Wahlleistungen. Nähme man ihnen diese, würde das zu massiven Problemen führen. Zumindest eine Zusatzversicherung – dann wieder für besser Verdienende – müsste wohl weiterhin bleiben.“
Und was denkst Du?
Ob duales System oder Bürgerversicherung – für beide Seiten sprechen viele Argumente. Fest steht: Es gibt einiges zu besprechen. Wir wollen deswegen wissen, wie du zu diesem und weiteren Themen stehst, die für unsere Zukunft entscheidend sind. Anlässlich des 50. Jubiläums lädt dm dich zum Dialog ein: Mach mit bei „Und was denkst Du?“ und teile uns innerhalb der Umfrage mit, wie du dir deine eigene und unsere gemeinsame Zukunft vorstellst.
Eine Woche Zukunft
dm feiert in diesem Jahr 50-jähriges Jubiläum und bringt auf der Zukunftswoche vom 25. bis 29.09. namhafte Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft, Medien und Kultur miteinander ins Gespräch. Im Vordergrund stehen dabei die fünf Zukunftsthemen Das Ich im Wir, Ökologische Zukunftsfähigkeit, Kinder und Jugendliche, Neue Arbeitswelten und Gesundheit. Für diese Themen engagieren wir uns gemeinsam mit Partnern wie Nivea, elmex und Listerine.
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